[Rezension] Jojo Moyes: Me Before You (dt. Ein ganzes halbes Jahr)

me before youLouisa Clark ist 26 Jahre alt und führt ein durchschnittliches Leben in einer englischen Kleinstadt nahe London. Sie hat einen Job in einem Café, lebt zusammen mit ihren Eltern, ihrem Großvater, ihrer Schwester und deren Sohn in einem Häuschen, das gerade genug Platz für alle bietet. Ihr Leben besteht aus Familie, Job und ihrem Freund, und eigentlich ist sie damit ganz zufrieden. Auch wenn sie durch ihren etwas ungewöhnlichen Kleidungsstil ein wenig aus der Masse heraussticht.

Doch dann verliert Lou ihren Job. Verzweifelt sucht sie nach einer neuen Anstellung um ihren Eltern wieder finanziell unter die Arme greifen zu können, und bekommt sogar das Angebot als „Tänzerin“ zu arbeiten. Natürlich kommt das bei aller Geldnot für Lou nicht in Frage. Aber dann bekommt sie die Chance als Hilfskraft für Will Traynor zu arbeiten.

Will Traynor war jung, erfolgreich, ein Draufgänger, der sein Leben genoß und seine Arbeit liebte. Bis ein Unfall an ihn an den Rollstuhl gefesselt. Gelähmt von der Brust an abwärts ist Will auf die Hilfe anderer angewiesen. Er ist depressiv, launisch, verletzend in seiner Art mit anderen Menschen umzugehen – doch Lou weigert sich von Beginn an ihn mit Samthandschuhen anzufassen.

Zusammen bauen die beiden ein Miteinander auf, obwohl sie unterschiedlicher nicht sein könnten, und schon bald bedeutet Lou Wills Glück mehr als sie jemals erwartet hätte. Und als sie von Wills schockierenden Plänen erfährt, beginnt sie zu begreifen warum sie nur für ein halbes Jahr eingestellt wurde…

Me Before You“ ist der aktuelle Roman der erfolgreichen britischen Autorin Jojo Moyes, der nun auch im Deutschen unter dem Titel „Ein ganzes halbes Jahr“ erschienen ist.

Ich habe noch nie ein Buch von dieser Autorin gelesen, doch die Begeisterung über das Buch und die gewisse Tragik, die allein schon durch den simplen Klappentext hindurch scheint, haben dann doch mein Interesse geweckt.

Jojo Moyes Schreibstil fesselt von der ersten Zeile an. Sie beginnt die Geschichte aus Wills Sicht zu erzählen, wechselt dann aber zu Louisa, die somit nicht nur als Hauptperson sondern auch als Erzählerin fungiert. Lou war mir von der ersten Zeile an unglaublich sympathisch. Eine normale Mitzwanzigerin, die noch nie wirklich aus ihrer Heimatstadt herausgekommen ist, die ihre Eltern liebt, und sich mit ihrer Schwester streitet und wieder verträgt. Wunderbar normal.

Gemeinsam mit Lou macht der Leser die Bekanntschaft von Will, und bekommt hautnah mit wie viele Sorgen sich die junge Frau eigentlich um diesen neuen Job als „Pflegerin“ macht, denn auch ihre Eltern glauben nicht dass sie der Aufgabe sich um einen „Behinderten“ zu kümmern überhaupt gewachsen ist. Und Will scheint Lous Hilfe auch gar nicht zu wollen.

„I started to hate him and I’m sure he knew it.“

Wills Leben besteht aus einem täglichen Kampf mit sich selbst. Er ist auf die Hilfe seines Krankenpflegers Nathan angewiesen, und er hasst diese Abhängigkeit und die Unfähigkeit etwas selbst zu tun zutiefst, war er doch früher ständig unterwegs und auch Adrenalinkicks nicht abgeneigt. Nun sitzt er im Rollstuhl, braucht Hilfe beim Essen, Anziehen, bei der Fortbewegung. Er nimmt Tabletten gegen Krämpfe, für seinen Blutdruck, für den Magen, für besseren Schlaf, gegen Schmerzen, kann seine Körpertemperatur nicht mehr selbst kontrollieren. Doch was er auf keinen Fall will ist Mitleid.

„I wanted to feel sorry for him. I really did. I thought he was the saddest person I had ever met, in those moments when I glimpsed him staring out the window. And as the days went by and I realized that his condition was not just a matter of being stuck in that chair, of the loss of physical freedom, but a never-ending litany of indignities and health problems, of risks and discomforts, I decided that if I were Will, I would probably be pretty miserable too. But oh Lord, ge was vile to me.“

So unterschiedlich beide Charaktere doch sind, nicht nur in ihrer Art, sondern allein auch von ihrem Umfeld her in dem sie aufgewachsen sind, finden sie, trotz anfänglicher Schwierigkeiten, ihren ganz eigenen Weg miteinander zurechtzukommen. Wortgefechte werden zum Zeitvertreib, und haben mich mehr als einmal zum Lachen gebracht. Doch die beklemmende Tragik des Entschlusses, den Will für sich gefasst hat, ist immer präsent und wird dem Leser stets wieder in Erinnerung gerufen.

Dank einander machen die beiden neue Erfahrungen, überdenken vieles und finden immer mehr auf ihrer ganz eigenen Ebene zueinander. Gemeinsam mit Lou erleben wir die Erfolge sowie Niederlagen ihrer Mission, Wills Entschluss zu ändern. Wir schöpfen Hoffnung. Wir verlieren sie. Wir finden sie wieder.

Auch wenn Lou ganz klar die Haupterzählerin des Buches ist, so kommen auch die anderen Personen zu Wort und haben die Chance, die Geschichte und die Geschehnisse von ihrem Blickpunkt aus zu erzählen. Besonders Wills Mutter („She made my own mother look like Ozzy Osbourne.“) hat sich mir so in einem völlig anderen Licht gezeigt und hat einen tiefen Eindruck bei mir hinterlassen. Doch auch Nathan, den Lou sehr treffend als „armored vehicle in human form“ beschreibt, ist ein wunderbarer Charakter, der sich von Lous Plänen und Hoffnung zwar anstecken lässt, jedoch nicht gänzlich vom Erfolg überzeugt ist.

Es fällt schwer über dieses Buch zu schreiben, ohne nicht doch aus Versehen zu viel zu verraten, auch wenn ich glaube dass viele Leser den Ausgang der Geschichte bereits erahnen, bevor sie überhaupt beginnen zu lesen.

Me Before You“ brachte meine Gefühlswelt Seite um Seite durcheinander. Ich lachte. Laut und aus der Tiefe meines Herzens. Ich weinte. Still und leise, nur um in der nächsten Minute wieder in Gelächter auszubrechen. Ich ziehe meinen Hut vor Jojo Moyes, denn um bei mir tatsächlich einen solchen Rausch an verschiedensten Gefühlen auszulösen braucht es so einiges. „Me Before You“ hat dies alles. Charaktere die wunderbar echt wirken sodass man sie von Anfang an ins Herz schließen muss. Eine Geschichte die bewegt, die einen nicht mehr loslässt, selbst wenn man das Buch schon längst ausgelesen hat. Ein Buch das einen zum Nachdenken anregt, zum Lachen bringt, und zu Tränen rührt. Und ganz ehrlich, was will man mehr?

bewertung 5 sterne

ein ganzes halbes jahrMe Before You von Jojo Moyes
384 Seiten (Hardcover)
Verlag: Penguin Viking
Erschienen: Dezember 2012
ISBN: 978-0670026609
ca. 20 €
(Taschenbuch für ca. 8 € , deutsche Ausgabe für 14,99 €)

3 Gedanken zu “[Rezension] Jojo Moyes: Me Before You (dt. Ein ganzes halbes Jahr)

  1. Ich hatte überlegt, ob ich „Ein ganzes halbes Jahr“ lesen soll, habe mich aber dagegen entschieden, weil die Hauptperson so viel älter ist als ich. Spielt das Alter denn eine große Rolle bei dem Buch? Vielleicht überlege ich es mir ja noch mal… ;-)
    Schau doch mal bei mir vorbei: https://bookpalast.wordpress.com/

      1. Ein paar meiner Freundinnen lesen das Buch auch gerade, aber ich schrecke eher vor Büchern zurück, in denen die Hauptperson älter als 20 ist. Ich überlege noch ein bisschen. Oder warte einfach noch 5 Jahre. ;-)

        https://bookpalast.wordpress.com/

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