Das Haus von Kambilis Familie liegt inmitten von Hibiskus, Tempelbäumen und hohen Mauern, die Welt dahinter ist das von politischen Unruhen geprägte Nigeria. Mit sanfter, eindringlicher Stimme erzählt die 15jährige Kambili von dem Jahr, in dem ihr Land im Terror versank, ihre Familie auseinanderfiel und ihre Kindheit zuende ging. (Inhaltsangabe: S. Fischer Verlag)
Diese Rezension erscheint im Rahmen der Aktion Buch-Date. Ein Sammelbeitrag mit den Besprechungen zu allen ausgewählten Büchern ist auf dem Blog von Wortgeflumselkritzelkram zu finden. Mein Date-Partnerlein Alienaid hat mir drei wunderbare Bücher vorgeschlagen, die alle auf die Wunschliste gewandert sind. Die Auswahl fiel, wie die Artikelüberschrift zeigt, auf „Blauer Hibiskus„.
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Chimamanda Ngozi Adichie wuchs im Südosten Nigerias, in der Universitätsstadt Nsukka, auf. Mit 19 verließ sie Nigeria, um in den USA Kommunikations- und Politikwissenschaften zu studieren, nachdem sie kurzzeitig an der Universität von Nigeria ein Medizin- und Pharmaziestudium begonnen hatte. Es folgt Kurse im kreativen Schreiben an der Johns Hopkins Universität, sowie ein Masterabschluss in Afrikanistik an der Yale-Universität. „Blauer Hibiskus“ ist ihr Debütroman, der 2003 erschien und zwei Jahre später seinen Weg nach Deutschland fand. Inzwischen hat sie weitere Romane sowie Kurzgeschichten und Essays veröffentlicht.
Closer to the house, vibrant bushes of hibiscus reached out and touched one another as if they were exchanging their petals. The purple plants had started to push out sleepy buds, but most of the flowers were still on the red ones.
(Pos. 112-113)
„Purple Hibiscus“ ist ein Buch, das schon lange auf meiner Leseliste stand. Ein Buch, für das es vielleicht den richtigen Moment, die richtige Gelegenheit, den richtigen Anreiz braucht. Dieser Moment kam nun, nach fast zwei Jahren Wartezeit.
In ihrem Debütroman bedient sich Adichie eines geographischen Umfeldes, das sie nur zu gut kennt. So leben und wirken die Charaktere ihres Romans an Orten und in Gegenden, die auch für die Autorin von Bedeutung sind, und an denen sie einen Teil ihres Lebens verbracht hat. Und auch in den Namen einzelner Charaktere finden sich Parallelen zu Adichies Privatleben – so ist Tante Ifeoma angelegt an Grace Ifeoma, Adichies Mutter. Doch der Reihe nach.
Erzählt wird die Geschichte von Kambili, ein circa 15 Jahre altes afrikanisches Mädchen, deren Familie der Upperclass von Nigeria angehört. Dem Vater gehört eine Fabrik, das Familienanwesen ist eine große Villa mit Personal, ein Fahrer bringt die beiden Kinder am Morgen zur Schule, und holt sie am Nachmittag wieder ab. Auf den ersten Blick wirkt alles wie ein traumhaftes, entspanntes Leben, doch der Schein trügt.
Statt Geborgenheit, Zuneigung und Liebe, regieren in der Familie Angst, Zwang und Kontrolle. Der Vater herrscht mit eiserner Hand – eine Hand, die er auch zum Einsatz bringt, sollte sich seinen Anweisungen widersetzt werden. So kassiert nicht nur Kambili Schläge, als sie nicht Klassenbeste an ihrer Schule wird. Auch die Mutter wird regelmäßig Opfer der Ausbrüche des Vaters, und auch Kambilis Bruder Jaja hat unter Demütigungen und Gewalt zu leiden. Alle nehmen es schweigend hin, leben in stiller Furcht vor dem Vater. Vor allem Kambili bewundert ihn, will ihn stolz machen. Schließlich geschehen seine Züchtigungen nur aus Liebe, um die Familie auf dem einzig wahren Weg zu halten.
The stinging was raw now, even more like bitesm because the metal landed on open skin on my side, my beg, my legs. Kicking. Kicking. Kicking. Perhaps it was a belt now because the metal buckle seemed to heavy. Because I could hear a swoosh in the air.
(Pos. 2621-2623)
Wo die Gebote von Nächstenliebe erzählen, herrscht in Kambilis Elternhaus strenger, christlicher Fundamentalismus. Fast eine halbe Stunde dauernde Gebete vor dem Essen sind vollkommen normal, und auch das Festhalten an einem strikten Tagesplan sind für Kambili und ihren Bruder nichts ungewöhnliches.
Die Augen geöffnet werden den beiden, als sie einige Wochen bei der Schwester ihres Vaters, der Tante Ifeoma verbringen. Hier sind die Gebete von Lachen und Gesang durchdrungen, und trotz des Lebens auf beengtem Raum und wenig Geld, scheinen Ifeoma und ihre Kinder glücklich zu sein. Ein Unterschied wie Tag und Nacht, den Adichie gekonnt mit der Symbolik um roten und blauen Hibiskus unterstreicht.
„Purple Hibiscus“ spielt im Süden Nigerias, in der Gegend um Nsukka in den früher 1990er Jahren. Adichie zeigt ein Land, in dem Extreme zur Tagesordnung gehören. Die Leute stehen Schlange vor den Tankstellen, obwohl das Land als wohlhabende Ölnation gilt. Neue Kirchen sprießen nach der Missionierung des Landes wie Unkraut aus dem Boden, während Bildungsstätten und Universitäten vor dem Verfall stehen. Mord, Gewalt und Korruption sind so alltäglich, dass diesen Dingen niemand mehr allzu große Beachtung schenkt.
Nach außen hin ist die Figur des Vaters ein Heiliger. Als gläubiger Christ besucht er so oft wie möglichen Messen und Gottesdienste, betet und beichtet, fährt sogar beim zuständigen Geistlichen zu Hause vorbei, um seine Beichte abzulegen. Bei längeren Reisen mit der Familie werden Gebete gesprochen. Er spricht sich gegen Korruption und Militärdiktatur aus, bietet dem Regime mit Artikel in seiner Zeitung „Standard“ die Stirn, und wird sogar von einer fiktiven Organisation mit dem Menschenrechtspreis ausgezeichnet. Es fällt teilweise schwer sich vor Augen zu halten, dass es sich hier um eben jenen Mann handelt, der seine Frau und Kinder schlägt, und seinen eigenen Vater als Heiden, der in der Hölle schmoren wird, bezeichnet, da dieser dem alten, traditionsreichen Glauben angehört.
She spoke the way a bird eats, in small amounts.
(Pos. 220)
Kambili durchlebt das Erwachsen werden, diese wertvollen Momente, in denen sie sich selbst findet, ihre eigene Stimme – im wahrsten Sinne des Wortes – nicht nur findet sondern auch nutzt, und die erste zarte Verliebtheit entdeckt, wie ein Abenteuer, einen Rausch. Wie Steine, wenn sie einmal ins Rollen kommen, ist auch Kambilis persönliche Entwicklung nicht mehr aufzuhalten.
Adichie schreibt einfach, jedoch mit großer, unterschwelliger Wucht, die sich entfaltet sobald das Gelesene den Leser in seinen Bann zieht. Ihr Romandebüt fesselt, fasziniert, berührt und erschüttert, ohne dabei von großen Katastrophen, Massakern oder hilflosen, am untersten Ende der Gesellschaft gerade so überlebenden Menschen zu schreiben. Stattdessen bedient sie sich der feinen, zwischenmenschlichen Töne in dieser reichen und nach außen hin so perfekten Familie, nur um zu zeigen, dass schöner Schein nicht immer alles ist.
Then I heard Amaka’s sobbing. It was loud and throaty; she laughed the way she cried. She had not learned the art of silent crying; she had not needed to.
(Pos. 2303-2304)
Die im Roman verstreute Kritik an der Regierung, an der Politik, an der fanatisch ausgelebten Religion regt den Leser zum Nachdenken an, zum Analysieren, ohne sich dabei aufzudrängen. Das Hinterfragen beginnt bereits nach den ersten Worten, die Adichie aufs Papier gebracht hat, und die – vor allem im englischen Original auffallend – Anlehnung sind an „Things fall apart“ von Chinua Achebe, einen Autoren, den sie zutiefst bewundert.
„Purple Hibiscus“ sollte gelesen werden. Unbedingt. Die Themen, die Chimamanda Ngozi Adichie in ihrem über 10 Jahre alten Debüt anspricht, sei es subtil zwischen den Zeilen oder direkt und ohne großes Umschreiben, sind heute genauso aktuell wie damals. Und werden wohl auch nie an Aktualität verlieren.
Blauer Hibiskus von Chimamanda Ngozi Adichie
Purple Hibiscus
336 Seiten (Paperback)
Übersetzung: Judith Schwaab
Verlag: S. Fischer Verlage
Erschienen: Juli 2015
ISBN: 978-3-596-03244-0
Englische Ausgabe
307 Seiten (Paperback)
Harper Collins; Februar 2005
ISBN: 978-0007189885
Eine tolle Rezension! Ich freue mich, dass Dir „Blauer Hibiskus“ gefallen hat–und Du packst ganz treffend einen Leseeindruck in Worte, der meinem sehr ähnelt. Leider bin ich (wegen Arbeitsstress) im November kaum zum Bloggen gekommen und habe auch meinen Beitrag zum Buchdate nicht rechtzeitig fertig bekommen. Gelesen habe ich aber eine Deiner Empfehlungen, nämlich die Graphic Novel „In the Pines–Five Murderballads“ und ich war–bin–begeistert und finde, dass das Buch sich auch als Weihnachtsgeschenk prima eignet! Vielen Dank für den schönen Buchvorschlag!
Dankeschön :) Und Danke für den Buchtipp. Ich will jetzt auf jeden Fall mehr von Adichie lesen!
Und es freut mich so sehr, dass du dir „In the Pines“ ausgesucht hast. Insgeheim habe ich ja darauf gehofft! ;)
Jaa, das Cover hat mich einfach auf Anhieb angesprochen :-) (Und ich muss gestehen, dass ich Comics bzw. Graphic Novels sowieso sehr mag, auch wenn meine letzten Käufe schon eine Weile zurückliegen…) Adichie hat mich auch begeistert… Und ich kann ihre anderen Romane auch vorbehaltlos empfehlen :-)
Hört sich gut an!
Danke für die schöne Rezension. Ich komme leider momentan erst dazu, die Beiträge zum Buchdate in Ruhe zu lesen (denn dafür wollte ich mir schon Zeit nehmen), aber es hat sich gelohnt. Nach etwa der Hälfte der Zeit hatte ich jemanden im Kopf, dem ich das Buch schenken könnte, am Ende war ich mir sicher, dass es ihr gefallen wird. :)
Das hat mir jetzt zum frühen Morgen ein Lächeln ins Gesicht gezaubert. Vielen Dank für den schönen Kommentar. ;)