Arno Geiger: Der alte König in seinem Exil
In der zutiefst berührenden Geschichte seines Vaters erzählt Arno Geiger von einem Menschen, dessen Vitalität und Klugheit mit der Alzheimerkrankheit nicht verschwinden. Geboren 1926 als drittes von zehn Kindern, die Eltern Kleinbauern in Wolfurt, drei Kühe, ein Obstgarten, ein Acker, ein Bienenhaus. Mit achtzehn Krieg an der Ostfront, mit neunzehn Kriegsgefangenschaft, Krankheit, Lazarett und dann der Wunsch, nie wieder wegzugehen aus dem Dorf. Der Vater baut ein Haus auf dem Hügel, er heiratet. Mit der Geschichte seines Vaters beginnt Arno Geiger auch seine eigene Kindheit wiederzuentdecken. Er schließt nochmals Freundschaft mit seinem Vater, versucht, seine oft eigenwilligen Sätze zu verstehen und entdeckt, dass sein Vater noch vieles besitzt: Charme, Selbstbewusstsein und Witz. (Inhaltsangabe von Verlag)
Arno Geiger’s Buch, oder eher sein Bericht, hat mich wirklich sehr berührt. Vor allem auch, weil der Umgang mit Demenzkranken auch in meiner Familie ein Thema ist mit dem ich jeden Tag auf’s neue konfrontiert werde. Viele Dinge die Geiger in seinem Werk anspricht kann ich nachvollziehen, habe ich selbst erlebt. Man denkt nicht sofort daran dass ein geliebter Mensch an Demenz erkrankt ist wenn das Erinnerungsvermögen ab und an etwas nachlässt. Schließlich ist das im Alter ja nichts ungewöhnliches, oder? Doch nach und nach kommen Zweifel auf, bis dann die „schreckliche“ Wahrheit ans Licht kommt.
Der Umgang mit Demenzkranken ist nicht einfach, vor allem nicht, wenn sich die Persönlichkeit des Betroffenen immer mehr ändert. Es ist als ob ein völlig neuer Mensch entsteht, der mit ein paar alten Erinnerungen versehen ist, sich aber oft ganz anderes verhält als er das früher noch getan hat.
Und es ist kräftezehrend. Es gibt Momente in denen man alles hinwerfen will, in denen man nicht mehr weiß was man noch tun soll, in dem einen die immer wiederkehrenden Fragen den letzten Nerv rauben. Und doch, wenn man sich auf die Welt des Demenzkranken einlässt, eröffnet sich einem ein ganz anderer Blick auf den Alltag. Man lernt die kleinen Dinge zu wertschätzen.
Arno Geiger fängt dies auf ganz wunderbare Weise ein. Er trauert nicht um das Verlorene (zumindest nicht ständig), er nimmt das Neue an und genießt die Momente mit seinem Vater, die kleinen Gespräche und Abenteuer.
Ein Buch voller Witz und Lebenslust. Ein Buch welches uns lehrt die Dinge auch einmal anderes zu sehen. Ein Buch, dass nicht nur Angehörigen von Demenzkranken wertvolle und wundervolle Lesestunden schenken wird. Unbedingt lesen!
[…] begreife ich jetzt, dass es einen Unterschied macht, ob man aufgibt, weil man nicht mehr will, oder weil man weiß, dass man geschlagen ist.
Und ich habe auch gelernt, dass man für das Leben eines an Demenz erkrankten Menschen neue Maßstäbe braucht.
Es ist, als würde ich dem Vater in Zeitlupe beim Verbluten zusehen. Das Leben sickert Tropfen für Tropfen aus ihm heraus. Die Persönlichkeit sickert Tropfen für Tropfen aus der Person heraus.
Wir dachten, seine Defizite kämen vom Nichtstun. Dabei war es umgekehrt, das Nichtstun kam von den Defiziten. Weil ihm auch kleinere Aufgaben über den Kopf wuchsen und er merkte, dass er die Kontrolle verlor, trat er jegliche Verantwortung ab.
Einen Demenzkranken eine nach herkömmlichen Regeln sachlich korrekte Antwort zu geben, ohne Rücksicht darauf, „wo er sich befindet“, heißt versuchen, ihm eine Welt aufzuzwingen, die nicht die seine ist.
Der alte König in seinem Exil von Arno Geiger
192 Seiten (Taschenbuch)
Verlag: dtv
Erschienen: November 2012; Erst-VÖ Februar 2011
ISBN: 978-3423141543
Ganz Deiner Meinung! Ich fand das Buch auch richtig toll :-)