[Rezension] Rebecca Makkai: Ausgeliehen

Ian Drake ist 10 Jahre alt und süchtig nach immer wieder neuen Geschichten. Lucy Hull ist Bibliothekarin in der Stadtbücherei von Hannibal – und seine einzige Verbündete. Sie hilft ihm, die geliehenen Bücher an seiner herrischen Mutter vorbeizuschmuggeln. Tag für Tag.

Doch eines Morgens wird diese Routine gewaltig auf den Kopf gestellt. Lucy traut ihren Augen kaum, als sie Ian in der Bibliothek vorfindet – umgeben von Decken und Büchern hat er zwischen den Regalen sein Lager aufgeschlagen. Pflichtbewusst will Lucy den Ausreißer nach Hause bringen, doch der Junge hat andere Pläne. Geschickt lotst er sie mitten hinein in eine Reise quer durch die USA.

Alles hat den Charakter einer Entführung. Doch wer entführt hier eigentlich wen? Und warum ist Ian überhaupt von zu Hause weggelaufen?

Ausgeliehen“ ist der erste Roman der amerikanischen Autorin Rebecca Makkai, die bereits zuvor Erzählungen in der unter anderem von Alice Sebold herausgegebenen Anthologie „The Best American Short Stories“ veröffentlicht hat.

Prolog und Leseprobe zu diesem Buch klangen so vielversprechend, dass ich wirklich recht viel von dieser Lektüre erwartet habe. Ein literarischer Road-Trip wird offeriert, und ein paar kleine Anspielungen auf bekannte Werke sind zu finden, ist doch von Hobbithöhlen, Kaninchenloch und Dorothy die Rede. Auch andere Bücher sind Thema; Tatsache, handelt es sich bei einer der beiden Hauptpersonen um eine Bibliothekarin. Diese Bezüge beschränken sich aber auf nur ein Drittel des eigentlichen Romans.

Getragen wird die Geschichte von Ian Drake und Lucy Hull. Ian ist zehn Jahre alt und verbringt nahezu seine gesamte Freizeit in der Bibliothek der Kleinstadt Hannibal. Doch seine Leselust wird dank seiner Mutter deutlich eingeschränkt, den diese hängt einer religiösen Glaubensgemeinschaft an und fühlt sich berufen, für ihren Sohn eine Vorauswahl der Bücher zu treffen, die er lesen darf. „Bücher in denen der Atem Gottes zu spüren ist.“

Ian als Charakter ist schwer einzuschätzen. Zum einen hat es der Junge nicht gerade leicht, hat mit Vorurteilen zu kämpfen und wird unter anderem von der Bibliothekschefin als „der kleine Homosexuelle“ betitelt. Aus diesem Grund muss er auch an speziellen Versammlungen teilnehmen, die vom Gründer der Glaubensgemeinschaft geleitet werden, der seine Eltern angehören. Er hat keine Freunde, benimmt sich in meinen Augen aber auch nicht wie ein typischer Zehnjähriger. Nebenbei hat er ein gewisses Talent, seinen Willen durchzusetzen. Ob ihn das allerdings als Person sympathischer macht, ist fraglich.

Lucy Hull ist 26, verantwortlich für die Kinder- und Jugendbuchabteilung der Bibliothek und Ians einzige Verbündete, hilft sie ihm doch, trotz des Verbots seiner Mutter bestimmte Bücher lesen zu können. Die junge Frau hat einige Seiten, mit denen ich mich durchaus identifizieren kann, vor allem ihre Liebe für die Literatur. In ihrer kleinen Wohnung lebt sie umgeben von Bücherstapeln, da sie Angst davor hat ein System zum Sortieren ihrer Schätze finden zu müssen, sollte sie sich jemals Regale anschaffen. Obwohl ihr durchaus auch schon einmal der Gedanke kam, alle Werke nach dem jeweiligen Protagonisten alphabetisch zu ordnen.

Zunächst scheinen die beiden Charaktere durchaus Potential zu haben. Doch leider schafft es die Autorin nicht, bestimmte Facetten weiter auszubauen. Allein in Lucys Vergangenheit und ihre Familiengeschichte gewinnt man ein paar Einblicke. Als Person allerdings lässt sie Tiefe vermissen.

Auch die Geschichte entwickelt sich nicht gerade so, wie man es vielleicht erwarten würde. Der Road-Trip, der unter anderem nach Chicago, Cleveland, Pittsburgh, Vermont und Burlington führt, wirkt für mich eher wie eine Facette um Kritik an Themen wie Homosexualtität, und deren Ablehnung durch manche Glaubensgemeinschaften zu äußern. Die Kriege Amerikas bleiben natürlich auch nicht unerwähnt. Und die Immigration.

Ich habe wirklich mehr von diesem Buch erwartet. Stattdessen wird hier eine an sich gute Grundidee in eine unrealistische Handlung verpackt, und mit Charakteren versehen, die alles andere als echt und glaubwürdig wirken. Einzig Lucys Schauspielnachbar ist mir ein bisschen ans Herz gewachsen und hat in seinen wenigen Auftritten mehr Persönlichkeit an den Tag gelegt, als Lucy und Ian zusammen.

Mir gingen beim Lesen ständig nur folgende Fragen durch den Kopf: Warum ist Lucy überhaupt mit Ian losgefahren und hat nicht einfach in der Bibliothek gewartet? Und ist so etwas wie diese Reise in der Realität überhaupt möglich? Und ganz besonders: Was soll das alles überhaupt?

Ausgeliehen“ verspricht viel, hält aber leider wenig. Ich habe das Gefühl dass Rebecca Makkai nur nach einer Idee gesucht hat, ihre Meinung und Kritik an bestimmten Themen entsprechend zu verpacken. Ein unglaubwürdiges Buch, mit zu Beginn zwar guten Ansätzen, das zum Ende hin immer mehr nachlässt, und leider eher enttäuscht als begeistert.

bewertung 3 sterneAusgeliehen von Rebecca Makkai
The Borrower
368 Seiten (Hardcover)
Verlag: Ullstein
Erschienen: Oktober 2011
ISBN: 978-3550088483
19,99 €

Ich bedanke mich ganz herzlich bei Vorablesen.de und dem Ullstein-Verlag für das zur Verfügung gestellte Leseexemplar.

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